Man nutzt sie doch viel zu selten, nicht wahr? Die Möglichkeiten, die einem die Heimat bietet.
Ich gebe zu (das darf ich als ehemalige Touristikerin auch), dass ich gerne fremde Länder und Kulturen kennenlerne. Ich sauge Neues auf wie ein Schwamm.
Inzwischen weiß ich jedoch zu schätzen, was Oberbayern an Reichtümern für mein naturverliebtes Wesen bereithält. Das war nicht immer so.
Als ich noch in München lebte, besuchte ich das erste Mal das Residenzmuseum, weil eine italienische Bekannte zu Besuch kam. Da war ich Mitte zwanzig und hatte den größten Teil meines Lebens in nicht allzu großer Entfernung verbracht. Den Innenhof der Residenz lernte ich Dezember 2018 kennen, als ich den dortigen Christkindlmarkt als familiären Treffpunkt wählte. Von meinem aktuellen Alter möchte ich jetzt gar nicht reden, denn ich wohne seit bald zwei Jahrzehnten nahe Wasserburg am Inn.
Hier war ich schneller: Schon nach wenigen Jahren nahm ich an einer Stadtführung teil, und ich liebe es durch die Gassen der Altstadt zu schlendern.
Das könnt ihr übrigens auch tun, wenn es euch interessiert: Meine Kurzgeschichte »Schicksalhafter Christkindlmarkt« wird ab Herbst 2018 in der Weihnachtsanthologie der »Rosenheimer Autoren« zu lesen sein. (Rosenheimer Verlagshaus)
Im Frühjahr 2017 kauften mein Mann und ich uns ein Kajak. Aufblasbar, aber hochwertig, weil wir in den Flussläufen der Spree auf den Geschmack gekommen waren. Neben Gardasee, Molvenosee oder der Adria sehen wir auch die Natur unserer bayerischen Heimat nicht nur von Fuß- oder Radwegen, sondern zunehmend vom Wasser aus.
Heute ist wieder so ein Tag, an dem wir die schwere Tasche ins Auto laden und an den Chiemsee, das »bayerische Meer«, fahren.
Diesmal freue ich mich über die Begleitung meiner jüngeren Tochter, die wegen ihres Studiums nicht mehr allzu oft zu Hause ist. Wir entscheiden uns dazu, die Fraueninsel zu umrunden, was keine langwierige Tour ist. Letztes Jahr umkreisten mein Mann und ich in sechs Stunden die Insel Herrenchiemsee, was etwas mühsamer ist. Bei 35° und kaum Möglichkeiten anzulanden, um sich zu erfrischen, weil dreiviertel der Inselküste ausgewiesenes Vogelschutzgebiet ist, war es wunderschön, jedoch anstrengend.
»Ihr sitzt doch im Boot, springt einfach ins Wasser, wenn euch zu heiß ist«, werden jetzt einige denken. Ja, reingesprungen ist schnell. Zurück zu klettern, ohne alles zu durchnässen oder sogar zu kentern, ist die andere Sache. Ich bin nicht unsportlich, aber weit von einer Zirkusartistin entfernt.
Meine Tochter und ich fahren zum Hafen Gstadt, der der Fraueninsel am nächsten liegt, und laden das Boot aus. Das Auto parke ich wenige Minuten Fußmarsch weiter auf einem der Parkplätze, die ein erkleckliches Nebeneinkommen für die Landwirte des Orts bedeuten.
Das Kajak wird aufgepumpt, die variablen Sitze eingeklinkt, Handtücher, Wechselkleidung, Geld und Handys werden in wasserfesten Säcken verstaut und befestigt. Dann heben wir das noch leichte Kajak ins Wasser.
Man wird bei diesen Vorgängen immer von einem Haufen anderer Erholungssuchender auf Parkbänken beobachtet, und wir hoffen, dass wir uns nicht zu dumm anstellen. Heute schaffen wir es beinahe.
»Wo sind denn die Paddel?«, fragt meine Tochter, und ich wiederholte erschreckt und eindeutig dümmlich ihre Frage. Ja, mein Mann hatte bestätigt, diese eingepackt zu haben. Ich war wieder einmal zu schnell losgesaust und hatte sie auf der Rückbank des Wagens übersehen. Ja, wer es nicht im Kopf hat ...
Auf meinem zweiten Rückweg vom Auto zum Hafen, mit glücklich geschulterten Paddeln, staune ich über den Wahnsinn des Verkehrs in diesem kleinen Ort. Radfahrer, die sich ganz selbstverständlich auf den Fußgängerwegen bewegen. Die Fußgänger retteten sich durch einen Sprung auf die Straße. Autos, die rückwärts fahren, ohne zu prüfen, ob hinter ihnen ein Rollstuhlfahrer vorbeirollt oder der Eisenklappsessel eines Parkwächters steht. Fußgänger, die ohne einen Blick nach links oder rechts zu wenden, die Straße überqueren.
Ja, sind wir denn in Italien?
Beinahe, wenn man an den Gardasee denkt. Hinter dem Chiemsee ragen die Alpen empor, nicht so nah wie am Lago di Garda, außerdem ist der Chiemsee weitläufiger und die Uferlandschaft gänzlich anders. Beide haben ihren Reiz und gehören zu meinen Lieblingsentspannungsorten.
Also Paddel ins Boot, Tochter ins Boot, Mama fotografiert.
Der nette Herr (Beobachter auf der Parkbank) aus Burghausen bietet an, uns zusammen zu fotografieren, was wir gerne annehmen. Dabei kommt man gleich wieder ins Gespräch.
Uh, das Wasser ist genausokalt wie der Bodensee vor zwei Wochen.
Wir paddeln zwischen den Stegen hindurch auf den offenen See. Der Nachteil bei diesem grandiosen Sonnenschein-Wetter ist, dass man am besten den Kopf ständig wie ein Uhu kreisen lässt. Motor-, Segel-, und Elektroboote, Ruderkähne und Kajaks kreuzen von links nach rechts und zurück in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Von den vollbesetzten Ausflugsbooten und den Fähren ganz zu schweigen. Den Schaufelraddampfer sollte man ebenfalls an dieser Stelle erwähnen. Ihn hört man allerdings schon von Weitem.
Es gibt natürlich auch auf dem Wasser Vorfahrtsregeln. Die besagen, dass Linienschiffe grundsätzlich Vorfahrt haben, außer sie treffen auf ein manövrierunfähiges Fahrzeug. Danach sollten die wendigeren Gefährte ausweichen. Ein flotter Segler kann seinen Kurs schneller korrigieren, als ich mit meinem Kajak und der 2-Personen-Muskelkraft. Aber Achtung: Nicht alle gucken mal unter ihren Segeln durch, was da vor ihnen auf dem Wasser schaukelt. Wie auf der Straße ist Mitdenken angesagt.
Wir umkreisen die Fraueninsel, paddeln ein wenig rascher, weil wir nicht sicher wissen, ob wir uns im direkten Kollisionskurs mit der »Edeltraut« befinden. Jetzt wird es ruhiger. Auf der Südseite bestaunen wir die Kirche und das Kloster und entscheiden uns, die nächste »Hauptverkehrsader« zu überqueren, um an der Krautinsel eine Mittagspause einzulegen. Es wird erneut zackig gepaddelt, um die Unfallgefahr zu minimieren.
Dann binden wir unser Kajak an einem Steinhaufen in Ufernähe fest, beschweren das Seil noch etwas und machen erst einmal Fotos von der idyllischen Umgebung.
Das mitgebrachte Brot (die Tupperbox wird später wieder mitgenommen, was eine Selbstverständlichkeit sein sollte, aber nicht ist!) wird verspeist, eine Entenfamilie kommt nachschauen, ob was abfällt. Man soll Wildvögel nicht füttern, egal wie süß sie gucken oder wie aggressiv sie einen anquaken.
Jetzt legen wir uns zurück und entspannen. Ein trommelndes Geräusch lässt uns hochschrecken, was die auf uns zu galoppierende Schafherde zu einer sehenswerten Bremsung veranlasst. Sie wählen nun den Weg hinter der Hütte statt dem Strandpfad, und wir beobachten eine Zeitlang das Herdenleben aus nächster Nähe.
Wolken ziehen auf, was am Chiemsee nichts heißen muss, aber sehr schnell kann, wenn in Alpennähe ein Gewitter aufzieht. In diesem Fall sollte man sich besser nicht mehr auf dem Wasser befinden. Es gibt rund um den See Signallampen, denen man Aufmerksamkeit schenken sollte. Je rascher sie blinken, desto eiliger ist ein Hafen aufzusuchen.
Momentan blinkt nichts, trotzdem machen wir uns auf den Heimweg. Mein Buch will weitergeschrieben werden, der Papa freut sich vermutlich über ein spätes Mittagessen.
Wir legen vor einer der Gaststätten an und heben das Kajak zum Trocknen an den Strand. Dann ergattern wir einen der begehrten Tische und gönnen uns einen Cappuccino und einen Eiskaffee mit Ausblick.
Hier am Hafen kann man übrigens Boote aller Art ausleihen. Ein wunderschöner Ausflug – ob einen ganzen Tag (Sonnenmilch nicht vergessen) oder zwei Stunden (Sonnenmilch nicht vergessen), der zu empfehlen ist. Auf dem Wasser entspannt man völlig anders als in einer Strandbar oder am Hotelstrand von Rimini mit eigenem Schirm und Schulter an Schulter mit dem Nachbarn. Aber jedem das Seine. Meines ist eben Wasser und Natur.
Ich wünsche euch einen sonnigen Sommer, voller erholsamer Zeiten. Und wenn ihr Richtung Chiemsee kommt, genießt das bayerische Meer doch mal vom Wasser aus.
Eure sonnenverwöhnte Katie
Weitere Leseproben zu meinen Büchern findet ihr in den vorigen Blogeinträgen und auf meiner Facebookseite Katie S. Farrell, Autorin.
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