Lässt sich Fantasie verbiegen?
Meine Fantasie ist im Laufe meiner Autorentätigkeit flexibler geworden, stelle ich freudig fest.
Das hilft mir zwar leider nicht beim Shoppen, wenn das Shirt oder die Schuhe, in deren sicheren Besitz ich mich bereits wähnte, einfach nirgends aufzutreiben sind. Meist weiß ich nur zu genau, wie der angestrebte Kauf auszusehen hat, aber entweder sind meine Wünsche schon wieder out oder noch nicht erfunden oder - am allerschlimmsten - nur in meiner Größe nicht vorrätig. Nicht selten ziehe ich dann unverrichteter Dinge wieder ab und mein Mann freut sich über das gesparte Geld.
Aber beim Schreiben schadet es eher, alles starr zu fixieren.
Nehmen wir beispielsweise mein neues Projekt - Beretar:
Es besteht aus einigen parallelen Handlungssträngen, da sich mehrere Grüppchen wieder in die düsteren Schluchten des zerrissenen Planeten aufmachen. Die einen wollen wissen, was sich hinter dem Dunklen Tor befindet und wer für die Verwandlung der Shades in Untote verantwortlich ist, die anderen, ob hinter dem Hellen Tor doch eine Heilung von Schwerstverletzten möglich ist. Die dritte Gruppe verfolgt die erste, um sie aus der Gefahrenzone zu bringen, aber ein Ziel ist ihnen allen gemein: Die Rettung der tapferen Admiralin Talin und des Fürstensohns Naim, der im schlimmsten Fall sein Leben für sie umsonst geopfert hat.
Was das mit meiner Flexibilität zu tun hat?
Nun, ich muss nicht nur die ständigen charakterlichen Drehungen meiner geliebten Hauptpersonen mitmachen, sondern auch die Ortswechsel vollziehen. Das mache ich natürlich nur zu gerne, aber es kann kniffelig sein. Meist sind die Orte ja in meiner Fantasie gewachsen und dann in Handlung und Datei eingepasst worden. Aber zufällig sehe ich ein Foto wie dieses und weiß, ich möchte/muss eine Änderung durchführen. Es geht nicht anders, denn genau so sollten die Gebäude auf den Himmelsschollen aussehen, den Teilstücken Beretars, die durch die Explosion in die Weite des Himmels katapultiert wurden und den Gerüchten zu Folge zur Erholung der Fürstenfamilie genutzt werden.
Seht euch diese kunstvollen Bögen und die wunderschönen Grüntöne an, dieses zarte Sonnenlicht, das dem Betrachter angenehme Temperaturen vorgaukelt. In Wirklichkeit herrschte eine sengende Hitze zum Zeitpunkt der Aufnahme.
Genauso wird es auch meinen Helden gehen, die unverhofft auf diesen Ort stoßen und sich in seliger Sicherheit wähnen. Sie werden vermutlich durch meine böse Fantasie bald eines »Schlimmeren« belehrt. Aber noch sind sie nicht am Ziel, denn es liegen noch viele Seiten selbstvergessender, unterhaltsamer und auch auslaugender Arbeit vor mir.
Das Vorwort zu »Beretar«:
»Beinahe wäre er gestolpert, als sich die Beschaffenheit des Bodens änderte. Der harte Fels der Schlucht war verschwunden, unter seinen Füßen spürte er weiches, nachgiebiges Material. Der Duft nach Blüten, den jeder der Kämpfenden vor dem Hellen Tor gerochen hatte, wehte nun in einer leichten Brise verstärkt um die Nase des erschöpften Kämpfers.
Aber Naim konnte diese angenehmen Eindrücke nicht genießen, zu schwer war die Last auf seinen Armen und noch schwerer wog die Hoffnungslosigkeit seines Tuns.
Warum war er durch diese lockende Öffnung im Fels geeilt?
Um die Sterbende, die reglos an seine Brust gebettet lag, zu retten? Ein Wahnwitz, dass er dem Irrglauben der Shades, die auf die Heilung aller Schwerstverletzten hinter diesem Eingang ins Unbekannte vertrauten, gefolgt war.
Der hagere Mann mit dem Falkengesicht hob den Kopf und wusste nicht, mit welchem Anblick er rechnete: Leichen, mehr oder weniger vermodert, oder die menschenleere Blumenwiese, die beweisen konnte, dass die Hoffnung der Schluchtenbewohner nicht vergebens gewesen war.
Irritiert runzelte er die hohe Stirn. Eine schwarze Haarsträhne klebte an den Schweißtropfen, die sich dort während des harten Kampfes noch eben in der Schlucht gebildet hatte. Mit großer Anstrengung hatten sie gewonnen, aber gegenwärtig stand Naim im Begriff, das Wichtigste in seinem Leben zu verlieren: Talin, die Admiralin der Airballon-Flotte seines Vaters, dem Fürsten Beretars.
Vor ihnen befand sich ein Gang, der in einer leichten Steigung in die Ferne führte. Dieser Weg war die einzig vorhandene Möglichkeit sich vom Fleck zu bewegen, außer den Weg zurück einzuschlagen.
Naim war sich unsicher, ob er überhaupt zurückkonnte, denn bisher gab es keine Rückkehrer durch das Helle Tor. Allerdings war er selbst der einzige Unverletzte, der es je gewagt hatte, hindurchzugehen.
Ihn schauderte kurz, als er daran dachte, was ihm Talin und sein Bruder Fadir berichtet hatten:
»Alle, die zurückkehren, kommen als verbrannte Wesen zurück in diese Welt. Sie kennen nichts und niemanden mehr aus ihrer Vergangenheit. Wen auch immer sie töten können, der stillt ihren unermesslichen Hunger. Die ehemaligen Shades sind zu menschenfressenden Zombies mutiert. Auf dem Weg zwischen Heilung und Tod sind sie auf eine Hölle auf der anderen Seite des Hellen Tores gestoßen. Und dieses Flammenmeer scheint der einzige Ausgang zurück in die Schlucht zu sein.«
Würden er und Talin - sofern jemand für ihre Rettung sorgte - auf dieselbe Weise heimkehren?
Ein leiser Seufzer drang an sein Ohr. Vorsichtig ließ er sich auf die zittrigen Knie sinken und bettete die verletzte Frau auf den weichen Boden. Aufmerksam beobachtete der Kämpfer sie und stellte erleichtert ein kurzes Heben und Senken des Brustkorbes fest. Mit sanften, unbeholfenen Bewegungen strich er ihr das lange, fast schwarze Haar aus dem Gesicht.
Ihre bleiche Gesichtsfarbe war ebenso besorgniserregend wie die offene Wunde an ihrer Seite, die ihr eine dieser fürchterlichen Echsen mit dem messerscharfen Schwanzende aufgerissen hatte. Solche Ungeheuer hatte Naim noch nie gesehen.
Sie waren wie die verbrannten Wesen direkt aus der Hölle gekrochen, die hinter dem Dunklen Tor liegen musste, und hatten die Gruppe der Kämpfer attackiert. Talin hatte sich tapfer geschlagen, war aber durch ihren verletzten Kampfarm deutlich eingeschränkt gewesen. Gesenkten Hauptes dachte er daran, dass er die Schuld an der ersten Verletzung trug und damit auch für ihren möglichen Tod verantwortlich wäre. Vorsichtig drehte er die schlanke Frau auf die unverletzte Seite und registrierte erstaunt, dass sich der Blutfluss aus der Wunde deutlich verlangsamt hatte.
Mit neuem Mut blickte er den Gang entlang, dessen Ende nicht zu erkennen war, und mahnte sich selbst.
»Los jetzt, Naim. Bring sie an einen besseren Ort, an dem es hoffentlich Heiler gibt.«
Seine Lippen zusammengepresst sah er auf Talin hinunter, die er bisher als beherrschte, besonnene und fähige Anführerin kannte. Darüber, dass ausgerechnet er – den sie nicht leiden konnte – auf sie in ihrer Hilflosigkeit hinabsah, wäre sie nicht gerade glücklich.
»Komm schon, Talin,« murmelte er, als er sie behutsam wieder hochnahm und noch etwas wacklig zum Stehen kam. »Lieber von einem arroganten Sadisten gerettet werden als verrecken. Reiß dich zusammen, ich tu es ja auch.«
So sah ihre Meinung über ihn aus und er wusste, dass mehr als ein Quäntchen Wahrheit in diesen Worten lag. Er würde nur zu gerne beweisen, dass er eine zweite Seite hatte, wenn er die Gelegenheit dazu erhielte. Doch diese konnte er nur einer lebenden Admiralin zeigen, was bedeutete, dass er besser schnell Hilfe finden sollte. Der Gedanken an eine Wiedergutmachung seiner Schuld gab ihm Auftrieb.
Seine Schritte, anfangs langsam und unsicher, wurden länger und kraftvoll, während er auf dem Weg durch feinen Nebel in Richtung zunehmender Helligkeit wanderte – eingehüllt von wohlriechender, feuchten Luft.«
Könnt ihr euch diese Welt vorstellen, in die Naim seine Hoffungen setzt?
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